Auf den Spuren der Herkunft eines Renaissance-Häufebechers
In den überreichen Sammlungen des MAKK findet sich seit mehr als 80 Jahren ein ganz singuläres, kunsthistorisch bedeutendes Objekt – ein 14,5 cm hoher Häufebecher mit Deckel.
Der Becher wurde im ausgehenden 16. Jahrhundert in Nürnberg aus getriebenem, teils graviertem, teils gegossenem Silber hergestellt und feuervergoldet. Besonders hervorzuheben sind vor allem die farbigen, umlaufend gefassten Darstellungen der sieben Planetengötter der Kuppa, die als Amelierungen, also in einer Technik der Hinterglasmalerei, hinter sehr reinem Bergkristall gesetzt wurden. Nach aufwendigen Analysen von Mikroproben der Farblacke sowie der Metalle, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der TH Köln erfolgten, liegen genaue Kenntnisse über das Original und über spätere Zusätze vor.[1]
Weitere Untersuchungen zur Herkunftsgeschichte erfolgten nun jüngst, als der Blick auf auffällige Eintragungen im Inventarbuch zum Zugang des Objektes im Jahr 1938 fiel. Mit 15.000 RM ist der Wert des Bechers dort ungewöhnlich hoch angesetzt, dieser zudem zunächst als Ankauf, dann nachträglich als Schenkung des Luzerner Kunsthändlers Theodor Fischer (1878-1957) ausgewiesen und der Wert auf einer separaten Leihgaben-Liste mit 16.000 RM angegeben. Fischer gilt als einer der zentralen Figuren beim Handel mit NS-Raubkunst in der Schweiz.[2] Die Erforschung der Herkunft des Bechers brachte eine ganz außergewöhnliche und weitverzweigte Geschichte zutage.

Der Zugang des Häufebechers fiel in eine Zeit, in der die Stadt Köln darum bemüht war, den Museen eine überregionale bzw. internationale Ausstrahlung zu verschaffen. Dazu berief die Stadt den erfahrenen Kunsthistoriker Dr. Adolf Feulner (1884-1945) im Dezember 1937 zum Generaldirektor der kunstgewerblichen Sammlungen im Kunstwerbemuseum, Museum Schnütgen und im Museum für Ostasiatische Kunst. Feulner versuchte in der Folge mit gezielten Ankäufen die Sammlungen aufzuwerten, doch fehlten zunächst die notwendigen Finanzmittel.[3]
Auch der prachtvolle Renaissance-Häufebecher sollte die Sammlungen aufwerten und wurde daher am 15. Februar 1938 von der Münchener Kunsthandlung Julius Böhler und Theodor Fischer zur Ansicht und zum möglichen Ankauf ins Kunstgewerbemuseum geholt. Angesichts des hohen Preises stand allerdings wohl die Finanzierbarkeit des Ankaufs in Frage.[4] Dies sollte sich schon bald als unerheblich erweisen, als das Objekt nämlich Teil eines politisch motivierten Tauschgeschäftes wurde.
Ausgangspunkt dieses Geschäftes war das Bemühen der NS-Obrigkeit der Stadt Köln, den einflussreichen preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring (1893-1946) mit kostbaren Geschenken gewogen zu machen. Im Frühsommer 1938 schenkte Köln Göring das Gemälde „Maria mit dem Kinde“ von Lucas Cranach d.Ä. (WRM Inv. Nr. 3207) zur Geburt und Taufe seiner Tochter Edda (1938-2018) am 2. Juni 1938. Das Cranach-Gemälde sollte für 50.000 RM von Theodor Fischer erworben und aus dem Repräsentantenfonds des Oberbürgermeisters Dr. Karl Georg Schmidt (1904-1940) finanziert werden.[5] Doch konnte die geforderte Bezahlung in 4.000 Pfund aufgrund fehlender Devisengenehmigung nicht erfolgen. Da das Gemälde bereits an Göring verschenkt war, musste eine Lösung möglichst ohne Aufsehen herbeigeführt werden. Im Juli 1938 bot die Stadt Köln dem Schweizer Kunsthändler an, anstelle der Geldzahlung gleichwertige Gemälde im Wallraf-Richartz-Museum (WRM) auszusuchen. Die Wahl fiel zunächst auf das Gemälde „Sacra Conversazione“ von Benozzo Gozzoli (ehemals WRM Inv. Nr. 0500), doch erhielt man für das Werk als wichtiges Kulturgut keine Ausfuhrgenehmigung. Eine weitere Wahl fiel auf „Reiter am Strand“ von Paul Gauguin (ehemals WRM INv. Nr.1202), nur war dieses Bildnis bereits als „entartet“ beschlagnahmt und verkauft worden.[6] Fischer beschwerte sich daraufhin bei Feulner und drohte dem Kölner Oberbürgermeister damit, Herman Göring einzuschalten.[7] Man einigte sich schließlich im August 1938 darauf, Fischer das Gemälde “Porträt des Armand Roulin“ von Vincent van Gogh zu übergeben.[8] Aufgrund des hohen Wertes des Gemäldes musste Fischer der Stadt Köln im Gegenzug noch Kunstwerke für 1.600 Pfund aushändigen. So kam das Gemälde „Inneres einer Kirche“ von Emanuel de Witte am 1. März 1940 im Wert von 1.600 Pfund aus dem Besitz des Amsterdamer Kunsthändlers Paul de Boer ins WRM (Inv. Nr. 2620)[9] und schließlich der Becher im Wert von 16.000 RM endgültig ins Kunstgewerbemuseum.
Damit ist die Geschichte dieses komplexen Tauschgeschäftes allerdings noch nicht zu Ende erzählt. Das Cranach-Gemälde, durch welches der Häufebecher ins Kunstgewerbemuseum gelangt war, wurde von Göring zum Ende des Zweiten Weltkrieges zusammen mit einem großen Teil seiner Kunstsammlung nach Bayern verlegt. Über den Auslagerungsort Berchtesgaden gelangte es am 1. August 1945 in den Central Collecting Point München. Am 20. April 1949 übergab die amerikanische Militärregierung das Gemälde in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (1887-1980). Noch im selben Jahr strengte die Stadt Köln beim Landgericht Köln eine Schadensersatzklage gegen den Kunsthändler Theodor Fischer wegen Drohung nach § 123 BGB an, die letztlich abgewiesen wurde. In der Folge gab es weitere Klagen zur Feststellung der Eigentümerschaft des Cranach-Gemäldes. Erst nach über 20 Jahren wurde oberstgerichtlich das Geschenk der Stadt Köln an Hermann Göring als übermäßig und sittenwidrig eingestuft. Am 23. Juli 1968 kehrte das Gemälde von Lucas Cranach schließlich in das WRM in die unmittelbare Nachbarschaft zum Renaissance-Häufebecher zurück.[10]
(Autorenschaft: Marcus Leifeld, Britta Olényi von Husen, Karl Tobias Friedrich, Nuray Amrhein)

[1] Karl Tobias Friedrich, Stephanie Dietz, Nuray Amrhein, Ein Deckelgefäß mit Darstellungen der Planetengötter im Museum für Angewandte Kunst Köln. Ein Beispiel universeller Kunsttechnologie der Renaissance?, in: Theresa Wittig, Ulrike Weinhold (Hrsg.), Farbfassungen der Renaissance. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2020.
[2] MAKK, Hausarchiv, Inventarbuch G 1073.
[3] Westdeutscher Beobachter vom 8. März 1938, Morgen-Ausg. Vgl. zu Feulner: Sebastian Farnung, Kulturpolitik im Dritten Reich am Beispiel Frankfurter Museen (Studien zur Frankfurter Geschichte; Bd. 63), Frankfurt am Main 2016, S. 103-105.
[4] MAKK, Hausarchiv, Ordner „Zugangsblätter“, LG 103; vgl. auch: Otto v. Falke, Aus dem Jamnitzerkreis, in: Pantheon, Bd. XIX, Januar-Juni 1937, S. 60.
[5] Vgl. auch zum Folgenden: Thomas Buomberger, Raubkunst- Kunstraub. Die Schweiz und der Handel mit gestohlenen Kulturgütern zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, Zürich 1998, S. 52-55.
[6] https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05017046.
[7] Vgl. dazu Buomberger, Raubkunst- Kunstraub (wie Anm. 5), S. 52-55.
[8] Heute befindet sich das Gemälde von Van Gogh im Museum Boymans-van Beuningen in Rotterdam. https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05023512.
[9] https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05011543. Im Gegenzug für das Gemälde von De Witte musste das Wallraf-Richartz-Museum allerdings wiederum im August 1938 die Bildnisse „Der Evangelist Johannes“ von Giovanni di Paolo di Grazia (ehemals WRM Inv. Nr. 727), „Christus am Kreuz mit Maria und Johannes“, Toskana um 1400 (?) (ehemals WRM Inv. Nr. 746) und „Kalvarienberg/Kreuzigung Christi“ von Jakob Cornelisz (ehemals WRM Inv. Nr. 476) an die Kunsthandlung de Boer abgeben. WRM, Hausarchiv, Inventarbuch Inv. Nr. 2620; https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05090154; https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05023753; https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05018655.
[10] Nancy H. Yeide, Beyond the Dreams of Avarice. The Hermann Goering Collection, Dallas 2009, NR. A65, S. 240, Abb. S. 38; Anna Maria Sigmund, Die Frauen der Nazis, München 2001, S. 100f.; WRM, Archiv, Bildakte WRM Inv. Nr. 3207.
