Unsere Sonderausstellung

„… für den geistigen Gebrauch“

Künstlerische Positionen aus der Sammlung Winkler

31. Oktober 2024 bis 16. März 2025

Das Gemälde "Rot konstruiert" von Verena Loewensberg: im Zentrum ein rotes Quadrat, von dort ausgehend dunkel- und hellgraue rechtwinklige Flächen auf einem sehr hellen grauen Grund.
Verena Loewensberg „Rot konstruiert“, Zürich, 1959-1960, Öl auf Leinwand, MAKK, Stiftung Prof. Dr. Richard G. Winkler, © Stiftung Verena Loewensberg Zürich (Foto: © Fuis Fotografie)

Die Sammlung Winkler zählt zu den richtungsweisenden Einzelstiftungen in der Geschichte des MAKK. Ihre besondere Struktur erlaubt es, ein in Europa einzigartiges Ausstellungskonzept dauerhaft zu präsentieren: Unter dem Titel „Kunst + Design im Dialog“ treffen Werke der Bildenden Kunst auf Zeitgenossen aus dem Bereich des internationalen Produktdesigns. Die Keimzelle der außergewöhnlichen Sammlung aber ist die Freie Kunst. Prof. Richard G. Winkler begann bereits in den 1970er Jahren, herausragende Bildwerke zu sammeln. Sein besonderes Interesse galt dabei Gemälden und Objekten, denen ein konstruktiv-konkreter künstlerischer Ansatz gemeinsam ist.

Aus Anlass seines 90. Geburtstags widmet das MAKK dem bedeutenden Stifter die Ausstellung „… für den geistigen Gebrauch“, die das Herzstück seiner Sammlungen mit selten gezeigten Objekten in den Fokus nimmt. Der Titel bezieht sich hierbei auf die Ausstellung „Zürcher Konkrete Kunst“ im Jahr 1949, zu der der Künstler Max Bill das Ziel dieser Kunstrichtung erläuterte. Es galt „Gegenstände für den geistigen Gebrauch zu schaffen“.

Obwohl das Zitat auf eine bestimmte Kunstrichtung um die Mitte des 20. Jahrhunderts bezogen ist, lässt es sich auch auf Objekte früherer und späterer Strömungen anwenden. Der Blick des Sammlers auf die innere Verwandtschaft der Kunststile und sein fundiertes Wissen um kunsthistorische Zusammenhänge wird hier sehr deutlich. Ein weiteres Charakteristikum – bezogen auf alle Winkler’schen Sammlungsgebiete – ist das Bestreben nach Vollständigkeit. So sind beispielsweise die vier bekanntesten Gründungsmitglieder der Zürcher Konkreten mit prominenten Werken in der Sammlung vertreten: Max Bill, Camille Graeser, Richard Paul Lohse, Verena Loewensberg. Von Richard Paul Lohse, der zwei grundsätzliche Bildsysteme entwickelte, sind daher natürlich auch beide Gattungen vorhanden – die Ausstellung bildet die Sammlungsidee als Mikrokosmos ab.

 
Ain abstraktes Gemälde mit verschiedenen geometrischen Formen unterschiedlicher Farben auf beigem Grund.
Anonym, Suprematistische Studie Nr. 17, UDSSR, 1928–32, MAKK, Stiftung Prof. Dr. Richard G. Winkler, (Foto: © Fuis Fotografie)

Russische Avantgarde: rein geistige Revolution versus „auf in die Fabrik“

In der Zeit zwischen 1905 und dem Ende der 1920er Jahre entwickelten sich in Russland in schneller Folge wegweisende Stilrichtungen für die Kunst des 20. Jahrhunderts. In der Sammlung Winkler liegt der Fokus auf den beiden einflussreichsten, aber gegensätzlichen Strömungen: dem Suprematismus und dem Konstruktivismus.

Kasimir Malewitsch begründete den Suprematismus, der eine „gegenstandslose Empfindung“ zur Darstellung bringen wollte. Diese sei das Höchste (lat. supremus). Ein treffendes Beispiel ist die Komposition „Studie Nr. 17“, Ende der 1920er Jahre datiert, eines/einer unbekannten Künstler*in, die in der Ausstellung präsentiert wird. Es handelt sich hier um einen sogenannten „magnetischen Suprematismus“, bei dem sich die Bildelemente anzuziehen scheinen.

Den Gegenpol bilden zeitgleich Künstler*innen rund um Alexander Rodtschenko, einem Mitbegründer des Konstruktivismus. Ziel dieser Richtung war die Betonung der technischen Entwicklung der Zeit und die Forderung nach Zweckmäßigkeit in der Kunst. Die Brüder Georgi und Wladimir Stenberg gehören zu den erfindungsreichsten Protagonisten dieses Stils. Ihre Raumkonstruktionen, die mit einem Werk von Georgi Stenberg ebenfalls in der Ausstellung vertreten sind, sollen an Brücken, Aufzüge, Kräne oder architektonische Gerüste erinnern.

 
Eine abstrakte rote Fläche und dazu und zueinander parallele graue, rote und blaue Linien, über ihnen der dünne Umriss eines Kreises.
Werner Graeff, Ohne Titel, 75 x 75 cm, MAKK, Stiftung Prof. Dr. Richard G. Winkler, © Museum Wiesbaden, Werner Graeff-Archiv (Foto: © Fuis Fotografie)

De Stijl – Keimzelle der abstrakt-geometrischen und konstruktiv-konkreten Kunst

1917 schloss sich im südholländischen Leiden eine kleine Gruppe gleichgesinnter Künstler unter dem Namen „De Stijl“ (= Formgebung) zusammen, unter ihnen der Maler Piet Mondrian sowie der Maler und Kunsttheoretiker Theo van Doesburg. Auf van Doesburgs Initiative gab die Vereinigung auch eine gleichnamige Zeitschrift heraus, die bis 1928 die Ideen der progressiven Künstler*innen verbreitete.

Ziel der Gruppe war eine neue Gestaltung, für die insbesondere in der Anfangszeit Mondrian die theoretischen Fundamente legte. Er entwickelte ein rein geometrisches System mit horizontalen und vertikalen Linien und beschränkte die Farbskala auf die Grundfarben sowie Schwarz, Weiß und Grau. Wichtiges Merkmal war zudem die Vermeidung von Symmetrien. Diese Bildordnung übertrug er als „Neo-Plastizismus“ auch auf Architektur und Gegenstände.

Theo van Doesburg baute das System aus, indem er beispielsweise die Diagonale als dynamisches Prinzip in seine Kompositionen einbezog. Anders als Mondrian führte er ab den 1920er Jahren seine Formensprache auf mathematisch-geometrische Grundlagen zurück und prägte 1924 den Begriff „Konkrete Kunst“.

 
Drei farbige Kreise in unterschiedlichen Ausprägungen nebeneinander auf einem graugrünen Untergrund. Darunter verschwommen jeweils Texte auf hellerem Grund.
Karl Cieluszek, Bauhaus-Studien (Der Farbkreis), Dessau, 1929, Karton; Collage; Aquarellmalerei, MAKK, Stiftung Prof. Dr. Richard G. Winkler (Foto: © Fuis Fotografie)

Bauhaus – universaler Anspruch und strenger Funktionalismus

Das 1919 in Weimar gegründete Kunstinstitut zielte auf eine breit angelegte Ausbildung mit geistig-künstlerischen und handwerklich-technischen Aspekten. Stand zu Beginn noch die „Vereinigung von Kunst und Handwerk“ im Vordergrund, verschoben sich die Intentionen über die „Einheit von Kunst und Technik“ bis hin zur „Bestimmung der Form durch Funktion und Kosten“. Insbesondere der letzte Aspekt sollte eine enge Verbindung zur industriellen Fertigung zur Folge haben.

Obwohl die Industrieproduktion der Bauhaus-Entwürfe nur in wenigen Ausnahmen und teilweise deutlich zeitversetzt gelang, entwickelte sich die Schule zu einem der einflussreichsten künstlerischen Institute des 20. Jahrhunderts.

Auch wenn einige Schüler*innen nur kurze Zeit am Bauhaus unterrichtet wurden, sind die von dort ausgegangenen schöpferischen Impulse in den Gemälden, Werbegrafiken und Plakaten, Farbstudien oder Architekturfotografien der Sammlung Winkler deutlich erkennbar.

 
Das Gemälde "Rot konstruiert" von Verena Loewensberg: im Zentrum ein rotes Quadrat, von dort ausgehend dunkel- und hellgraue rechtwinklige Flächen auf einem sehr hellen grauen Grund.
Verena Loewensberg „Rot konstruiert“, Zürich, 1959-1960, Öl auf Leinwand, MAKK, Stiftung Prof. Dr. Richard G. Winkler, © Stiftung Verena Loewensberg Zürich (Foto: © Fuis Fotografie)

Konkrete Kunst: Farbe und Form als Gegenstände

Im Gegensatz zu Abstrakter Kunst, in der Farbe und Form von sichtbaren Gegenständen, Natureindrücken oder Lebewesen abgeleitet werden, behandeln Künstler*innen der „Konkreten“ diese Bildelemente selbst als Gegenstände. Farbe und Form sind somit die Realien der Werke und lassen sich auf nichts außerhalb der Komposition zurückführen, besitzen also auch keinen symbolischen Charakter. Konkrete Kunst soll visuell nachvollziehbar und in einer exakten Technik ausgeführt sein.

Nach Theo van Doesburg, der den Begriff prägte, wurde der einflussreiche Künstler, Architekt und Entwerfer Max Bill einer der führenden Köpfe der Strömung. Er gründete in den 1930er Jahren die „Zürcher Schule der Konkreten“, zu der auch Verena Loewensberg und Richard Paul Lohse gehörten. Die Stilrichtung, die besonders in der Schweiz mittels bedeutender Ausstellungen und Publikationen wirkte, fand in ganz Europa Anhänger. Der Franzose François Morellet und der Schwede Olle Bærtling gehören zu ihren Repräsentanten.

 
Ein Ausstellungsplakat: Am Kopf das Wort "UECKER" in dünnen, rundlichen, schwarzen Lettern. Darunter eine auf die Spitze gedrehte gelbe Raute, versehen mit von ihr ausgehenden kurzen Linien.
Anonym, Ausstellungsplakat „UECKER“, Quadrat Bottrop, Bottrop, 1985 (Foto: © Fuis Fotografie)

ZERO: Alles auf Anfang!

1958 gründeten Heinz Mack und Otto Piene in Düsseldorf die Künstlergruppe „ZERO“. 1961 schloss sich ihnen Günther Uecker an. Sie empfanden insbesondere die Werke der vorherrschenden Informellen Kunst als zu subjektiv und formlos, die verwendete Farbpalette als zu vermischt und dunkel. Demgegenüber wollten sie die Stilentwicklung quasi wieder auf „Null“ setzten, um einen künstlerischen Neuanfang zu ermöglichen. Zentrale Themen ihrer Arbeiten waren Licht, Feuer und Bewegung, die sie in unterschiedlicher Weise in ihren Werken hervorbrachten – mit lichtreflektierenden Rotoren, silbrigen Oberflächen, strahlenden Farben, Brandspuren oder genagelten Reliefs.

Obwohl sich die Gruppe 1966 wieder trennte, fanden ihre puristischen Ideen eine künstlerische Resonanz beispielsweise bei Almir Mavignier da Silva, Hermann Goepfert, Christian Megert oder Adolf Luther. Werke dieser Künstler sind ebenfalls in der Sammlung Winkler vertreten. Schließlich gab „ZERO“ auch wichtige Impulse für zeitgleiche und nachfolgende Strömungen wie Op(tical) Art oder Lichtkinetik.

Das Bild Walzer: Farbige Umrisse von Kreisen übereinander gezeichnet, ausgehend vom linken Bildrand.
Zdeněk Sýkora „Walzer“, 1981, Öl auf Leinwand, 150 x 150 cm, MAKK, Stiftung Prof. Dr. Richard G. Winkler, © Nachlass Zdeněk Sýkora (Foto: © Fuis Fotografie)

Systemische Kunst – objektive Regeln, verblüffende Ergebnisse!

Der einflussreiche, anglo-amerikanische Kunstkritiker Lawrence Alloway, von 1961 bis 1966 Kurator am Guggenheim Museum in New York, organisierte dort 1966 die Ausstellung „Systemic Painting“ und prägte im selben Jahr den Ausdruck „Systemische Kunst“. Unter dem Begriff verstand er konstruktiv-geometrische Werke, die durch nachvollziehbare Regeln und zum Teil standardisierte Formen aufgebaut waren.

Künstler*innen dieser Richtung arbeiteten etwa mit mathematischen Formeln oder auch nach Zufallsprinzipien, die beispielsweise durch Würfeln oder mithilfe des Computers ermittelt wurden. Einer der frühesten Vertreter war Zdeněk Sýkora, der bereits ab Anfang der 1960er Jahre die Rechenmaschine als Hilfsmittel für seine Kompositionen in zwei aufeinanderfolgenden Werkreihen einsetzte. Der rationale Ansatz bezieht sich bei Repräsentant*innen der Systemischen Kunst häufig auch auf einander bedingende Serien.

Gefördert durch:

Gefördert durch: Overstolzen Gesellschaft und Annemarie & Helmut Börner Stiftung