Zur Herkunftsgeschichte eines Wandspiegels aus dem Bestand des verfolgten Kunsthändlers Siegfried Lämmle im MAKK

In einem Projekt untersuchte das Museum für Angewandte Kunst in Köln (MAKK) die Herkunft eines Teils seiner Bestände auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut.[2] Dazu gehört ein niederländischer Wandspiegel, dessen Rahmen in Hinterglasmalerei Trophäen und florale Ornamente in leuchtenden Farben auf Goldgrund zeigt. Die Recherchen belegten die Herkunft aus dem Vorbesitz des NS-verfolgten Münchner Kunsthändlers Siegfried Lämmle (1863–1953).[3]

Das damalige Kunstgewerbemuseum Köln erwarb den Wandspiegel im September 1938 bei der Münchner Kunsthandelsfirma Julius Böhler für 320 RM.[4] Böhler hatte den Spiegel Ende Juni diesen Jahres für einen Zuschlag von 60 RM in einer Auktion des Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller ersteigert, an dem Böhler damals selbst zu 50 Prozent beteiligt war. Diese Provenienz geht hervor aus der zugehörigen Karteikarte aus dem Geschäftsnachlass Böhlers, der in einem Forschungsprojekt des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI), München, jüngst online zugänglich gemacht wurde.[5] Hinter dem als im Auktionskatalog „E. i. M.“ chiffrierten Einlieferer des Loses verbirgt sich Siegfried Lämmle, der hier Teile seines verbliebenen Warenbestands veräußerte.[6] Lämmle war damals seit längerem Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes ausgesetzt: Im Sommer 1935 war Lämmle und weiteren jüdischen Münchner Kunsthändlern durch die Reichskammer der bildenden Künste ein Berufsverbot und die Aufforderung zur Geschäftsschließung erteilt worden.[7] Spätestens im Herbst 1936 begann Lämmle, sein Warenlager unter Wert zu verschleudern, bevor er sein Geschäft zu Ende Juni 1937 abmeldete. Den verbliebenen Warenbestand ließ er zum großen Teil in zwei Auktionen bei Weinmüller am 2.-4. Dezember 1937 und am 28./29. Juni 1938 versteigern. Hier erwarb Böhler den in Rede stehenden Wandspiegel.

Lämmle und seine Ehefrau Betty emigrierten im September 1938 in die USA. Der Sohn Walter, der zunächst in Deutschland geblieben war, wurde bei den Pogromen im November 1938 verhaftet und in Dachau interniert. Ihm gelang im Dezember 1938 die Emigration, er folgte seinen Eltern in die USA. In Los Angeles eröffnete die Familie erneut ein Kunstgeschäft. Die Emigration bedeutete für sie den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und fast des gesamten Vermögens durch weitere Verfolgungsmaßnahmen wie u.a. diskriminierende Abgaben, die Sperrung der Konten und die Beschlagnahme der in Deutschland zurückgebliebenen Warenbestände und privaten Kunstsammlung. Nach 1945 erhielten Lämmle und seine Erben eine Entschädigung u.a. für den Verlust des durch den NS-Staat beschlagnahmten Eigentums, auffindbare Objekte wurden zum Teil restituiert.[8] Eine Entschädigung wegen Verkaufs von Kunstgegenständen 1937 wurde hingegen durch die bundesdeutschen Behörden abgelehnt.[9]

Eine Suche in digitalisierten Auktionskatalogen erbrachte eine weitere Spur zur wahrscheinlichen Vorprovenienz des Spiegels. Unter dem Stichwort „Eglomisé“ – ein anderer Begriff für Hinterglasmalerei, der im Weinmüller-Katalog verwendet wird – erscheint ein Spiegel, der 1934 beim Münchner Auktionshaus Hugo Helbing versteigert wurde. Laut des Handexemplars Helbings, das in einem weiteren Projekt des ZI kürzlich für die Online-Recherche verfügbar gemacht wurde, war der Käufer des Loses Lämmle selbst, der Einlieferer ist mit „Stadler“ notiert.[10] Bei letzterem handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Münchner Bildhauer Toni von Stadler (1888–1982), Sohn des Landschaftsmalers und Mitbegründers der Münchener Secession Anton von Stadler (1850–1917).[11]

Kurz bevor Lämmle aufgrund der NS-Verfolgung aus Deutschland in die USA floh, lieferte er den Spiegel 1938 in die Weinmüller-Auktion ein. Die Stadt Köln steht in Kontakt mit den Erben Lämmles, um eine gerechte und faire Lösung zu erreichen.

Dr. Anja Ebert

Dr. Anja Ebert betreut aktuell das Forschungsprojekt „Die Erwerbungen des Kölner Kunstgewerbe-Museums (heute: Museum für Angewandte Kunst Köln) 1933 – 1940“ des MAKK.

 

Fußnoten:

[1] Den Erben nach Lämmle sei für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Objektes und seiner Herkunftsgeschichte gedankt.

[2] Das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderte Projekt wurde im ersten Abschnitt durch Dr. Iris Metje betreut und erfolgt in Zusammenarbeit mit dem städtischen Referat für Provenienzforschung.

[3] S. zu Lämmle u.a. Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien. Köln u.a. 2012, S. 169–175. – Jan Schleusener, Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Hrsg.): Raub von Kulturgut. Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte (Bayerische Studien zur Museumsgeschichte

3). Berlin 2016. – Anja Ebert: Siegfried Lämmle – In die Emigration getrieben. In: Gekauft – Getauscht – Geraubt? Erwerbungen zwischen 1933 und 1945. Bearb. von Anne-Cathrin Schreck u.a. Ausst.Kat. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Nürnberg 2017, S. 160–179. – Vanessa-Maria Voigt: Die Auflösung der Kunst und Antiquitätenhandlung Siegfried Lämmle. In: Ehem. Jüdischer Besitz. Hrsg. von Henning Rader, Vanessa-Maria Voigt. Ausst.Kat. Münchener Stadtmuseum. München 2018, S. 87–111.

[4] MAKK, Inventarbucheintrag zu A01420; Zugangsliste 1938, Zugangsnr. 1938.0010.

[5] Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI), München, Bestand Böhler, Karteikarte München, M_38-0177, https://boehler.zikg.eu/wisski/navigate/12081/view. Zum Projekt s. https://boehler.zikg.eu/. – Zu Weinmüller Hopp 2012 (wie Anm. 3), zur Beteiligung Böhlers S. 112–121.

[6] Aukt.Kat. Weinmüller, München, 28.–29.6.1938 (Auktion 15), Losnr. 586, ann. Exemplar des ZI, München, mit Angaben zum Einlieferer Lämmle.

[7] S. hierzu und zum Folgenden die in Anm. 3 angegebene Literatur.

[8] S. u.a. Staatsarchiv München, WB Ia 2265, 2969, 3415 und die Literatur in Anm. 3.                             

[9] Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, LEA 22170.

[10] Aukt.Kat. Helbing, München, 13.–14.11.1934, Losnr. 217, ann. Exemplar des ZI, München, mit Angaben zu Einlieferer und Käufer, https://doi.org/10.11588/diglit.55549#0021 [14.3.2024]. Zum Projekt s. https://www.zikg.eu/forschung/projekte/projekte-zi/kataloge-auktionshaus-hugo-helbing.             

[11] „Stadler“ lieferte wiederholt Lose bei Helbing ein, darunter Gemälde und weitere Objekte aus dem Nachlass Anton von Stadlers sowie Werke von Künstlern aus dem persönlichen Umkreis der Familie. S. u.a. die Helbing-Auktionen vom 24.10.1920, 27.10.1934, 13.–14.11.1934, mit Einlieferungen „Stadlers“ u.a. von Werken Anton von Stadlers, Otto Greiners, Max Klingers, Franz von Lenbachs, Adolf von Hildebrands sowie Ostasiatika. – S. zu Anton und Toni von Stadler: Toni Stadler. „Ich finde nicht, ich suche.“ Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. von Yvette Deseyve, Birk Ohnesorge. Ausst.Kat. Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau. Berlin 2017. – N.N.: Stadler, Toni (Anton), von. In: Thieme-Becker, Bd. 31. Leipzig 1937 (Nachdruck 1978), S. 437–438, mit Hinweis auf die Sammlung Anton von Stadlers mit u.a. Ostasiatika. – Für Hinweise zu Stadler sei den Kolleg*innen des aktuellen Helbing Art Research Project, Potsdam, sowie des Münchner Stadtmuseums, des Lenbachhauses und der Staatlichen Graphischen Sammlung München gedankt.