Zwei Glasobjekte aus der Sammlung des Johannes Freiherr von Diergardt

Zu den rund 400 Objekten, deren Herkunft im aktuellen Provenienzforschungsprojekt des MAKK (2020–2022) untersucht wird, gehören auch zwei kleine Flaschen von gut 18 bzw. 20 cm Höhe (Inv. F 565, F 631). Beide Objekte bestehen aus hellgrünem Glas und haben einen zylindrischen Körper, auf dem ein röhrenförmiger, sich nach oben leicht weitender Flaschenhals sitzt. Am Ansatz ist der Hals jeweils wulstartig verdickt. In der oberen Hälfte des Körpers und im Übergang zum Hals sind die Gefäße mit aufgeschmolzenen Fäden aus blauem Glas verziert, die sich spiralförmig um die Flaschen winden; dazwischen sind blaue Nuppen aufgesetzt. Geschaffen wurden diese Objekte zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert im Vorderen Orient, wohl in Syrien oder Mesopotamien.

Die kleinere Flasche (Inv. F 565) gelangte im Februar 1936 ins Kunstgewerbemuseum, die zweite folgte rund zwei Jahre später. Wie in den Inventaren des MAKK vermerkt ist, waren beide Erwerbungen Teil von Tauschaktionen, die das Kunstgewerbemuseum mit dem Wallraf-Richartz-Museum unternahm. Der Austausch oder die Überweisung von Objekten zwischen den städtischen Kölner Sammlungen war nicht ungewöhnlich, um die Bestände der jeweiligen Museen in ihren Schwerpunkten zu stärken. Gerade in den 1930er Jahren fanden weitreichende Neuordnungen statt, die auch das Kunstgewerbemuseum betrafen. Die Flaschen stammten aus der „Römischen und Germanischen Abteilung“ des Wallraf-Richartz-Museums, die in dieser Ausrichtung noch ganz neu war. Mit entsprechenden Objekten aus der Sammlung des Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824) hatte das Museum zwar seit seiner Gründung eine Abteilung für römische Altertümer besessen. Ein nennenswerter Bestand an germanischen Kunstwerken war aber erst 1934 ins WRM gelangt: Im Oktober des Jahres konnte die Stadt die Sammlung des jüngst verstorbenen Johannes Freiherr von Diergardt (1859–1934) übernehmen und damit die Bestände des ältesten Kölner Museums so umfänglich und qualitätvoll erweiterten, dass die Umbenennung der Abteilung erfolgte.[1] Später ging die Abteilung im Römisch-Germanischen Museum auf.

Glasflaschen
Glasflaschen aus der Sammlung Diergardt: Inv. F 631 und F565 (MAKK), rechts daneben D 6391 (Römisch-Germanisches Museum Köln)

Zunächst kamen diese Objekte als Leihgabe in den Besitz der Stadt Köln, ein Jahr später standen Mittel bereit, um sie von den Erben des Freiherrn anzukaufen.[2] Die Erwerbung war das Ergebnis von langwierigen und taktierenden Verhandlungen um eine der größten privaten Kollektionen von Werken der Völkerwanderungszeit.[3] Nach dem Tod von Johannes von Diergardt bemühte sich nicht nur Köln, diese einzigartige Sammlung für seine Museen zu erwerben. Die Vorgeschichtliche Abteilung im Königlichen Museum für Völkerkunde in Berlin und das daraus hervorgegangene Museum für Vor- und Frühgeschichte hatten bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert über viele Jahre von Schenkungen, zahlreichen Leihgaben und anderen Zuwendungen des Sammlers profitiert. Seit 1933 verhandelte Berlin um den Ankauf der Leihgaben, denn Johannes von Diergardt wollte größere Bestände seiner Kunstwerke veräußern. Durch die Weltwirtschaftskrise hatte er erhebliche Verluste an dem Vermögen erlitten, dass er als Sohn des rheinischen Textilindustriellen Friedrich Heinrich von Diergardt (1820–1887) geerbt hatte. Auch das Reichsmuseum in Stockholm zeigte zu dieser Zeit wohl Interesse an einer Übernahme der Objekte. Als der Sammler im Sommer 1934 unerwartet verstarb, war eine Einigung mit dem Berliner Museum noch nicht zustande gekommen. Letztlich gelang es dem Kölner Archäologen Fritz Fremersdorf (1894–1983), seit 1923 Leiter der Römischen Abteilung des WRM, die Diergardt-Sammlung in Verhandlungen mit dem Nachlassverwalter für Köln zu sichern.

Glasobjekt
Glasflasche aus der Sammlung Diergardt

Auch die hier vorgestellten Glasflaschen stammen aus der Sammlung des Johannes von Diergardt. Ein drittes, etwas kleineres Exemplar ist im Römisch-Germanischen Museum erhalten (Inv. D 6391). Vermutlich gehören die Flaschen zu dem Bestand, den Diergardt in seiner Berliner Stadtwohnung bewahrte. Ein dritter Teil der Sammlung befand sich zur Zeit der Übernahme nach Köln auf Schloss Bornheim, dem rheinischen Familienwohnsitz. Hier hatte der Freiherr bei verschiedenen Grabungen fränkische Funde gemacht, die wohl den Grundstock seiner Sammlung bildeten.

An das Kunstgewerbemuseum wurden die hier vorgestellten Flaschen abgegeben, weil sie aufgrund ihrer Zeitstellung nicht in das Sammlungsspektrum der Römischen und Germanischen Abteilung des WRM passten. Insgesamt 31 Glas- und Metallobjekte aus der Sammlung Diergardt gelangten auf diesem Weg ins MAKK. Das WRM erhielt im Tausch unter anderem den „Fränkischen Grabfund von Mühlhofen.“[4] Ein Verdacht, dass sich unter den Objekten aus der Diergardt-Sammlung  NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut befinden könnte, besteht derzeit nicht. Der Freiherr hatte seine Sammlung bereits vor dem Ersten Weltkrieg aufgebaut. Zur Zeit der Machtübernahme durch das NS-Regime Ende Januar 1933 war Diergardt von den Folgen der Weltwirtschaftskrise betroffen und plante den Verkauf von Teilen der Sammlung. Es gibt keine Hinweise darauf, dass er in dieser Phase noch Erwerbungen tätigte.

Dennoch lässt sich für die meisten der heute im MAKK befindlichen Werke die weitere Herkunftsgeschichte mangels Quellen nicht mehr nachverfolgen. Wann genau und auf welchen Wegen sie in Diergardts Besitz gelangten, ist nicht dokumentiert. Eine Ausnahme bilden die verzierten Glasflaschen. Sie lassen sich in Publikationen nachweisen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zur Sammlung Diergardt erschienen. Damit kennen wir zumindest den Zeitpunkt, an dem sie sich spätestens im Besitz des Freiherrn befanden. Der 1915 erschienene Katalog zur Sonderausstellung „Frühgermanische Kunst“ aus der Sammlung Diergardt im Raffael-Tapeten-Saal des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums verzeichnet drei Glasflaschen „mit aufgeschmolzenen blauen Fäden und Tropfen“ – neben den beiden Flaschen im MAKK wohl auch das Exemplar des Römisch-Germanischen Museums.[5] Als Fundorte der Objekte, die als Grabbeigaben dienten, werden hier „Südrussland“ bzw. „Gursuff“ (Hursuf, Krim) angegeben. Ob Freiherr von Diergardt die Objekte direkt von den Grabungen oder über Zwischenhändler erwarb, muss offen bleiben. Das größere Exemplar in der Sammlung des MAKK, Inv. F 631, hatte Alfred Götze bereits 1907 anlässlich einer Ausstellung von Schenkungen und Leihgaben Diergardts im Berliner Kunstgewerbemuseum in einen Aufsatz beschrieben.[6] Hier werden verschiedene südrussische Gräberfelder als Fundorte genannt, leider ohne die Flasche einem davon zuzuweisen. Götze hebt die Seltenheit der Flasche gegenüber ähnlich verzierten Gläsern hervor. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich das Exemplar zuerst in der Sammlung des Johannes von Diergardt befand. Die anderen beiden heute in Köln bewahrten Stücke dürfte der Freiherr zwischen 1907 und ihrer Publikation im Katalog von 1915 erworben haben.

Dr. Iris Metje, September 2021

 

[1] Verwaltungsbericht der Hansestadt Köln 1934/35, 1935, S. 76.

[2] Verwaltungsbericht der Hansestadt Köln 1935/36, 1936, S. 65.

[3] Zur Sammlung Diergardt vgl. Wemhoff, Matthias [Hg.]: Schätze aus Europas Frühzeit. Der Sammler und Mäzen Johannes Freiherr von Diergardt, Regensburg 2017; zur Übernahme durch das WRM siehe auch Päffgen, Bernd: Die Sammlung Diergardt und ihr Schicksal in den Jahren 1934 bis 1939. In: Brather, Sebastian u.a. [Hg.]: Historia archaeologica. Festschrift für Heiko Steuer zum 70. Geburtstag, Berlin/Boston 2009, S. 661–685.

[4] Den Grabfund hatte das Kunstgewerbemuseum im Sommer 1933 vom Rheinischen Museum übernommen, Zugangsverzeichnis MAKK, 1935.

[5] Götze, Alfred: Frühgermanische Kunst. Sonderausstellung ostgot. Altertümer d. Völkerwanderungszeit aus Südrussland im Raffael-Tapeten-Saal d. Kaiser-Friedrich-Museums; Leihgabe aus Privatbesitz, Ausst.-Kat. Berlin, 1915, Kat.-Nr. 340, 342, 344. Maßangaben zur eindeutigen Zuordnung fehlen.

[6] Götze, Alfred: Vorgeschichtliche Abteilung. In: Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen, Bd. 29 (1907), S. 39–43, hier S. 41, Abb. 33.