Anlässlich des internationalen „Tag der Provenienzforschung 2024" stellt Dr. Anja Ebert am Beispiel dieses niederländischen Wandspiegels die Vorgehensweisen der Provenienzforschung vor. (Das komplette Vortragsprogramm der Kölner Museen zum Tag der Provenienzforschung finden Sie am Ende dieser Seite. Bitte scrollen Sie nach unten.)
In einem aktuellen Projekt untersucht das Museum für Angewandte Kunst in Köln (MAKK) die Herkunft eines Teils seiner Bestände auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut.[2] Dazu gehört ein niederländischer Wandspiegel, dessen Rahmen in Hinterglasmalerei Trophäen und florale Ornamente in leuchtenden Farben auf Goldgrund zeigt. Die Recherchen belegten die Herkunft aus dem Vorbesitz des NS-verfolgten Münchner Kunsthändlers Siegfried Lämmle (1863–1953).[3]
Das damalige Kunstgewerbemuseum Köln erwarb den Wandspiegel im September 1938 bei der Münchner Kunsthandelsfirma Julius Böhler für 320 RM.[4] Böhler hatte den Spiegel Ende Juni diesen Jahres für einen Zuschlag von 60 RM in einer Auktion des Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller ersteigert, an dem Böhler damals selbst zu 50 Prozent beteiligt war. Diese Provenienz geht hervor aus der zugehörigen Karteikarte aus dem Geschäftsnachlass Böhlers, der in einem Forschungsprojekt des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI), München, jüngst online zugänglich gemacht wurde.[5] Hinter dem als im Auktionskatalog „E. i. M.“ chiffrierten Einlieferer des Loses verbirgt sich Siegfried Lämmle, der hier Teile seines verbliebenen Warenbestands veräußerte.[6] Lämmle war damals seit längerem Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes ausgesetzt: Im Sommer 1935 war Lämmle und weiteren jüdischen Münchner Kunsthändlern durch die Reichskammer der bildenden Künste ein Berufsverbot und die Aufforderung zur Geschäftsschließung erteilt worden.[7] Spätestens im Herbst 1936 begann Lämmle, sein Warenlager unter Wert zu verschleudern, bevor er sein Geschäft zu Ende Juni 1937 abmeldete. Den verbliebenen Warenbestand ließ er zum großen Teil in zwei Auktionen bei Weinmüller am 2.-4. Dezember 1937 und am 28./29. Juni 1938 versteigern. Hier erwarb Böhler den in Rede stehenden Wandspiegel.
Lämmle und seine Ehefrau Betty emigrierten im September 1938 in die USA. Der Sohn Walter, der zunächst in Deutschland geblieben war, wurde bei den Pogromen im November 1938 verhaftet und in Dachau interniert. Ihm gelang im Dezember 1938 die Emigration, er folgte seinen Eltern in die USA. In Los Angeles eröffnete die Familie erneut ein Kunstgeschäft. Die Emigration bedeutete für sie den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und fast des gesamten Vermögens durch weitere Verfolgungsmaßnahmen wie u.a. diskriminierende Abgaben, die Sperrung der Konten und die Beschlagnahme der in Deutschland zurückgebliebenen Warenbestände und privaten Kunstsammlung. Nach 1945 erhielten Lämmle und seine Erben eine Entschädigung u.a. für den Verlust des durch den NS-Staat beschlagnahmten Eigentums, auffindbare Objekte wurden zum Teil restituiert.[8] Eine Entschädigung wegen Verkaufs von Kunstgegenständen 1937 wurde hingegen durch die bundesdeutschen Behörden abgelehnt.[9]
Eine Suche in digitalisierten Auktionskatalogen erbrachte eine weitere Spur zur wahrscheinlichen Vorprovenienz des Spiegels. Unter dem Stichwort „Eglomisé“ – ein anderer Begriff für Hinterglasmalerei, der im Weinmüller-Katalog verwendet wird – erscheint ein Spiegel, der 1934 beim Münchner Auktionshaus Hugo Helbing versteigert wurde. Laut des Handexemplars Helbings, das in einem weiteren Projekt des ZI kürzlich für die Online-Recherche verfügbar gemacht wurde, war der Käufer des Loses Lämmle selbst, der Einlieferer ist mit „Stadler“ notiert.[10] Bei letzterem handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Münchner Bildhauer Toni von Stadler (1888–1982), Sohn des Landschaftsmalers und Mitbegründers der Münchener Secession Anton von Stadler (1850–1917).[11]
Kurz bevor Lämmle aufgrund der NS-Verfolgung aus Deutschland in die USA floh, lieferte er den Spiegel 1938 in die Weinmüller-Auktion ein. Die Stadt Köln steht in Kontakt mit den Erben Lämmles, um eine gerechte und faire Lösung zu erreichen.
Dr. Anja Ebert
Dr. Anja Ebert betreut aktuell das Forschungsprojekt „Die Erwerbungen des Kölner Kunstgewerbe-Museums (heute: Museum für Angewandte Kunst Köln) 1933 – 1940“ des MAKK.
Fußnoten:
[1] Den Erben nach Lämmle sei für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Objektes und seiner Herkunftsgeschichte gedankt.
[2] Das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderte Projekt wurde im ersten Abschnitt durch Dr. Iris Metje betreut und erfolgt in Zusammenarbeit mit dem städtischen Referat für Provenienzforschung.
[3] S. zu Lämmle u.a. Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien. Köln u.a. 2012, S. 169–175. – Jan Schleusener, Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Hrsg.): Raub von Kulturgut. Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte (Bayerische Studien zur Museumsgeschichte
3). Berlin 2016. – Anja Ebert: Siegfried Lämmle – In die Emigration getrieben. In: Gekauft – Getauscht – Geraubt? Erwerbungen zwischen 1933 und 1945. Bearb. von Anne-Cathrin Schreck u.a. Ausst.Kat. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Nürnberg 2017, S. 160–179. – Vanessa-Maria Voigt: Die Auflösung der Kunst und Antiquitätenhandlung Siegfried Lämmle. In: Ehem. Jüdischer Besitz. Hrsg. von Henning Rader, Vanessa-Maria Voigt. Ausst.Kat. Münchener Stadtmuseum. München 2018, S. 87–111.
[4] MAKK, Inventarbucheintrag zu A01420; Zugangsliste 1938, Zugangsnr. 1938.0010.
[5] Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI), München, Bestand Böhler, Karteikarte München, M_38-0177, https://boehler.zikg.eu/wisski/navigate/12081/view. Zum Projekt s. https://boehler.zikg.eu/. – Zu Weinmüller Hopp 2012 (wie Anm. 3), zur Beteiligung Böhlers S. 112–121.
[6] Aukt.Kat. Weinmüller, München, 28.–29.6.1938 (Auktion 15), Losnr. 586, ann. Exemplar des ZI, München, mit Angaben zum Einlieferer Lämmle.
[7] S. hierzu und zum Folgenden die in Anm. 3 angegebene Literatur.
[8] S. u.a. Staatsarchiv München, WB Ia 2265, 2969, 3415 und die Literatur in Anm. 3.
[9] Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, LEA 22170.
[10] Aukt.Kat. Helbing, München, 13.–14.11.1934, Losnr. 217, ann. Exemplar des ZI, München, mit Angaben zu Einlieferer und Käufer, https://doi.org/10.11588/diglit.55549#0021 [14.3.2024]. Zum Projekt s. https://www.zikg.eu/forschung/projekte/projekte-zi/kataloge-auktionshaus-hugo-helbing.
[11] „Stadler“ lieferte wiederholt Lose bei Helbing ein, darunter Gemälde und weitere Objekte aus dem Nachlass Anton von Stadlers sowie Werke von Künstlern aus dem persönlichen Umkreis der Familie. S. u.a. die Helbing-Auktionen vom 24.10.1920, 27.10.1934, 13.–14.11.1934, mit Einlieferungen „Stadlers“ u.a. von Werken Anton von Stadlers, Otto Greiners, Max Klingers, Franz von Lenbachs, Adolf von Hildebrands sowie Ostasiatika. – S. zu Anton und Toni von Stadler: Toni Stadler. „Ich finde nicht, ich suche.“ Leben, Werk, Wirkung. Hrsg. von Yvette Deseyve, Birk Ohnesorge. Ausst.Kat. Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau. Berlin 2017. – N.N.: Stadler, Toni (Anton), von. In: Thieme-Becker, Bd. 31. Leipzig 1937 (Nachdruck 1978), S. 437–438, mit Hinweis auf die Sammlung Anton von Stadlers mit u.a. Ostasiatika. – Für Hinweise zu Stadler sei den Kolleg*innen des aktuellen Helbing Art Research Project, Potsdam, sowie des Münchner Stadtmuseums, des Lenbachhauses und der Staatlichen Graphischen Sammlung München gedankt.
11.00 Uhr, Museum Schnütgen
Führung durch Dr. Manuela Beer und Dr. Adam Stead: Verschlungene Wege – Einblicke in die bewegte Herkunftsgeschichte ausgewählter (Neu-) Erwerbungen im Museum Schnütgen
Das Museum Schnütgen beherbergt eine herausragende Sammlung mittelalterlicher Kunst, die kontinuierlich durch Neuwerbungen erweitert wird. Dazu zählt ein äußerst qualitätvolles gotisches Elfenbeinrelief mit der Marienkrönung, das 1935 verfolgungsbedingt aus jüdischem Besitz versteigert wurde und 2014 Gegenstand eines Vergleichs mit den Erben war. In dieser Führung durch die Museumssammlung wird die bewegte Herkunftsgeschichte dieses und anderer ausgewählter Sammlungsobjekte vorgestellt. Dazu zählt auch der spannende Fall eines emaillierten Heiligenscheins aus der aktuellen Sonderausstellung „Schreine und Steine aus St. Pantaleon“: Das Objekt befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts nachweislich im Museumsbestand, gelangte dann in Privatbesitz und danach in den Kunsthandel, bevor es Ende 2023 als Geschenk den Weg ins Museum zurückfand.
Eintritt frei, ohne Anmeldung. Treffpunkt im Museumsfoyer
12.30 – 13.30 Uhr, Das Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM)
Wie funktioniert Provenienzforschung? Einblicke in die Herkunft und Geschichte von Kulturobjekten aus Kamerun, Japan, Südamerika und Australien
Mitarbeiter*innen des RJM geben zu ausgewählten Themen in der Dauerausstellung einen Einblick in ihre tägliche Arbeit, die dazu beiträgt, die Herkunft und Geschichte der Kultur- und Kunstwerke am Museum besser zu verstehen. Verteilt über den Ausstellungsbereich des Museums beantworten sie Fragen und führen zu verschiedenen Projekten der Provenienzforschung aus:
Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen zu den Sammlungen aus Kamerun? Warum kehrt ein Amulett von den Gruppen der Ainu nach Japan zurück? Warum wird das Geistertanzgewand nicht mehr gezeigt? Was wissen wir über Grabräuber in Südamerika?
Eintritt frei, ohne Anmeldung. Treffpunkt im Museumsfoyer
14.00 Uhr Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK)
Vortrag von Dr. Anja Ebert: Von München nach Köln - zur Herkunftsgeschichte eines Wandspiegels aus dem Bestand des verfolgten Kunsthändlers Siegfried Lämmle im MAKK
1938 erwarb das MAKK, damals Kunstgewerbemuseum Köln, einen niederländischen Wandspiegel mit aufwendig gestaltetem Rahmen bei der Münchner Kunsthandlung Julius Böhler. Der Spiegel stammte aus dem Eigentum des NS-Verfolgten Siegfried Lämmle und gelangte über Weinmüller und Böhler nach Köln.
Der Vortrag zeichnet die Herkunftsgeschichte des Spiegels und das Verfolgungsschicksal Siegfried Lämmles nach und stellt beispielhaft Vorgehensweisen der Provenienzforschung vor: Welche Fragen sind im Vorfeld einer gerechten und fairen Lösung zu klären? Mit welchen - auch digitalen - Werkzeuge und Methoden arbeitet die Forschung heute?
Eintritt frei, ohne Anmeldung. MAKK, Overstolzensaal
15.00 Uhr, Museum für ostasiatische Kunst (MOK)
Führung durch Dr. Daniel Suebsman: Sammler- und Händlernetzwerke auf dem Gebiet der alten chinesischen Kunst
Der Grundstock der chinesischen Sammlung des Museums für Ostasiatische Kunst geht auf die Privatsammlung der Eheleute Adolf und Frieda Fischer zurück, die ab 1906 zusammengetragen wurde. Durch Ankäufe mit öffentlichen Mitteln, Schenkungen des Fördererkreises, privater Mäzene, öffentlicher Institutionen sowie der Orientstiftung, die in diesem Jahr ihr 50jähriges Gründungsjubiläum feiert, konnte die Sammlung seitdem bedeutend erweitert werden. Anhand ausgewählter Exponate beleuchtet die Führung die Sammler- und Händlernetzwerke, die von der Zeit des Königreichs Preußen über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik auf dem Gebiet der chinesischen Kunst aktiv waren.
Eintritt frei, ohne Anmeldung. Treffpunkt im Museumsfoyer
Eine Übersicht aller am Tag der Provenienzforschung teilnehmenden Kulturinstitutionen findet sich auf der Website des Arbeitskreises Provenienzforschung. Durch Klicken auf den folgenden Link kommen Sie auf die Webseite des Arbeitskreises: www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/veranstaltungen/