20. Januar bis 7. Juni 2015
Systeme prägen unseren Alltag. Meist bemerken wir sie nicht: Vom metrischen System und die DIN-Normen über das Betriebssystem unseres Smartphones bis zur Systemgastronomie. Und unsere Position im Kosmos verorten wir innerhalb eines Sonnensystem – aber wenn wir in den nächtlichen Sternenhimmel blicken, sehen wir nur ein Chaos aus unendlich vielen, leuchtenden Punkten.
Der Systemgedanke beruht auf dem Wunsch, das Chaos dadurch zu bewältigen, dass wir eine überschaubare Anzahl von einzelnen Elementen verbinden und dadurch einen Zusammenhang herstellen.
Im Design werden seit über 100 Jahren Aufgaben in allen Abstufungen zwischen Einzel- und Gesamtlösung bearbeitet. Mal steht nur das einzelne Produkt im Mittelpunkt, mal geht es um den übergreifenden Zusammenhang, und mal bewegt sich das Design zwischen diesen Polen.
Die sog. Konturflasche, die Alexander Samuelson 1904 für Coca-Cola entworfen hat, ist ein Beispiel für einen Gegenstand ohne Bezug zu seinem Kontext. Sie ist ein autonomes Objekt.
Eine Reihe stellt einen ersten Schritt in Richtung Systemgedanke dar: Wenn ein Stuhl einmal entworfen ist, liegt der Gedanke nahe, ihn nicht nur in einer einzigen, sondern gleich in drei oder vier Größen zu produzieren.
Ein weiterer Entwicklungsschritt ist ein Programm. Es entsteht, wenn sich die einzelnen Gegenstände entweder nur formal-ästhetisch oder auch in ihren Abmessungen aufeinander beziehen. So erzeugen die Thonet-Stahlrohrmöbel Marcel Breuers (Stuhl, Hocker, Schreibtisch, Regal, ab 1925) allein durch ihre Formensprache einen solchen Zusammenhang. Ein Holzbaukasten ist das beste Beispiel dafür, dass Komponenten eines Programms maßbezüglich aufeinander abgestimmt sind.
Wenn ein solches Programm modular aufgebaut und fest verbunden wird, entsteht ein analoges System. Es setzt zweierlei voraus: Erstens sind die Module auf nur wenige standardisierte Grundelemente vereinfacht. Und zweitens wird ein Element eingeführt, das eine Verbindung ermöglicht, die auch wieder aufgehoben werden kann. Die kleinen Noppen, die seit 1958 auf der Oberseite der Lego-Steine angebracht sind, markieren diesen Übergang vom Holzbaukasten zum System. Weil die Elemente temporär verbunden werden können, explodiert die Anzahl der möglichen individuellen Anwendungen ins Unendliche. Die Verbindung etabliert das System.
Der sichtbare Knoten von USM-Haller (1963) zählt zu den bekanntesten Verbindungselementen im Möbeldesign. Die ersten Ansätze finden sich aber schon viel früher, etwa bei der ersten Fotokamera Leica 1a, für die Oskar Barnack 1925 erstmals eine systemetablierende Trennung von Gehäuse und Objektiv entwickelt hat. Der Systemgedanke trägt auch das auf wenigen Grundelementen beruhende visuelle Erscheinungsbild von Peter Behrens für AEG (ab 1907) oder von Otl Aicher für die Olympischen Spiele von München 1972. Bis in die jüngste Gegenwart wird dieses Thema im Design bearbeitet, zum Beispiel von Werner Aisslinger, der für den Möbelhersteller flötotto das System add mit einem Knoten entwickelt hat, welcher in der fertigen Konfiguration jedoch nicht sichtbar ist.
Seit den 1970er Jahren bildet der Systemgedanke die konzeptionelle Grundlage für viele Geschäftsmodelle und für die Digitalisierung des Lebens. Dadurch sind Systeme zu festen Rahmenbedingungen für unseren Alltags geworden. Innerhalb des globalen Logistiksystems stellt die Europalette einen verbindenden Knoten dar, der im Zentrum der wesentlichen Abläufe steht. Im Bezahlsystem spielt die Scheckkarte diese Rolle, in der Systemgastronomie ist es die Espressokapsel.
Digitale Systeme benötigen keinen formal-ästhetischen oder maßbezüglichen Anschluss mehr. Hier erzeugen die Hardware-Schnittstelle und die immaterielle, programmierte API-Schnittstelle eine weit übergreifende, funktionelle Geschlossenheit: Das Smartphone, das W-LAN in der Systemgastronomie und das Car-Sharing-System verbindet nichts Äußerliches miteinander. Ihr Zusammenhang lässt sich nicht mehr anfassen, sondern nur noch als Nutzen erleben.
Jedes System ist ein erneuter Versuch, einen abschließenden Zusammenhang zu erzeugen, der alle zugehörigen Elemente vereint. Jedes System hat aber auch Brüche, und gleichzeitig konkurriert es mit bestehenden Systemen. Deshalb ist jedes neue System zugleich auch ein Beitrag zur Vermehrung des bestehenden Chaos.
Die Ausstellung SYSTEM DESIGN versammelt mehr als 150 Exponate von mehr als 80 internationalen Gestalterinnen und Gestaltern wie Otl Aicher, Werner Aisslinger, Peter Behrens, Mario Bellini, Marcel Breuer, Wim Crouwel, Ray + Charles Eames, Egon Eiermann, Willy Fleckhaus, Richard Buckminster Fuller, Konstantin Grcic, Hans Gugelot, Fritz Haller, Josef Hoffmann, Jonathan Ive, Ferdinand Kramer, Le Corbusier, Enzo Mari, Ingo Maurer, Josef Müller-Brockmann, Bruno Munari, George Nelson, Otto Neurath, Frei Otto, Verner Panton, Joseph Paxton, Dieter Rams, Richard Sapper, Mart Stam, Oswald Mathias Ungers, Massimo Vignelli, Wilhelm Wagenfeld und Marco Zanuso.